In Deutschland werden herzkranke Kinder im ersten Jahr operiert
Seit mehr als zwanzig Jahren macht sich Christian Schlensak zweimal im Jahr auf den Weg nach El Salvador, um dort das zu tun, was er die übrige Zeit auch in Tübingen tut. Er ist Herzchirurg und Ärztlicher Direktor der Klinik für Thorax-, Herz- und Gefäßchirurgie im Universitätsklinikum Tübingen. Er ist aber auch der Lebensretter von inzwischen rund 250 Kindern, die in El Salvador mit einem Herzfehler auf die Welt gekommen sind. In Deutschland, sagt Christian Schlensak, würden diese Kinder ein paar Wochen oder Monate nach der Geburt operiert. In El Salvador müssen die Eltern dagegen tatenlos zuschauen, wie ihr Kind im Lauf der Jahre nicht größer und kräftiger, sondern schwächer wird. Die meisten sterben, noch bevor sie die Schule abgeschlossen haben.
El Salvador hat viele Probleme
El Salvador ist ein kleines Land in Zentralamerika mit traumhaften Stränden, Kaffeeplantagen und Regenwäldern. Es ist aber auch ein vom Bürgerkrieg, von Armut und Erdbeben gezeichnetes Land mit katastrophal hoher Kriminalitätsrate. Celina Schlensak hat noch Zeiten erlebt, in denen Entführungen selbstverständlich waren und Terrorismus ihren Alltag bestimmte. „Es ist ein Land mit vielen Problemen“, sagt sie
Als Celina Schlensak als junge Frau nach Hongkong ging, wo ihr Vater herstammt, traf sie dort den jungen Medizinstudenten Christian aus Deutschland, der dort ein Praktikum machte. Seither sind die beiden ein Paar und haben schon bald begonnen, sich für El Salvador zu engagieren. Sein Praktisches Jahr absolvierte Christian Schlensak bereits dort, was ihn nachhaltig prägte: „Es war furchtbar“, erinnert er sich, „es waren unzumutbare Zustände.“ Da keimte der Gedanke, „da muss man etwas machen“.
Das Hospital Benjamin Bloom, das 1956 in der Hauptstadt San Salvador eröffnet wurde, ist das bedeutendste Kinderkrankenhaus im Land. Trotzdem ist die medizinische Versorgung weit entfernt von dem, was hierzulande als selbstverständlich gilt. Es fehlt an allem, an Fachpersonal wie an Geräten. Die Hauptversorgung der Kinder übernehmen freiwillige Teams, die wie Schlensak regelmäßig aus dem Ausland anreisen. Er ist Teil einer zehnköpfigen Truppe – neben dem Herrn Professor fahren ein Anästhesist und ein Kinderkardiologe sowie zwei Assistenzärzte mit, zwei Intensivkinderkrankenschwestern, ein Kardiotechniker und ein Medizintechniker für die lebensnotwendige Herz-Lungen-Maschine.
Jedes Pflaster reist von Tübingen an San Salvador
Es ist längst nicht damit getan, dass das Tübinger Team in den Flieger steigt. Vorab müssen bereits sämtliche Materialien per Schiff oder im Flugzeug vorgeschickt werden – Geräte, OP-Besteck, Spritzen, Verbandszeug. Immerhin konnte man kürzlich eine runderneuerte Herz-Lungen-Maschine auftreiben, die dauerhaft in der Klinik bleiben kann. Das alte Gerät hatte nach zwanzig Jahren den Geist aufgegeben.
Jedes Pflaster reist von Tübingen an San Salvador
Es ist längst nicht damit getan, dass das Tübinger Team in den Flieger steigt. Vorab müssen bereits sämtliche Materialien per Schiff oder im Flugzeug vorgeschickt werden – Geräte, OP-Besteck, Spritzen, Verbandszeug. Immerhin konnte man kürzlich eine runderneuerte Herz-Lungen-Maschine auftreiben, die dauerhaft in der Klinik bleiben kann. Das alte Gerät hatte nach zwanzig Jahren den Geist aufgegeben.
Operiert werden die Kinder mit den größten Chancen
Denn der größte Teil der kranken Kinder kann nicht versorgt werden. Ein Kinderkardiologe vor Ort untersucht kostenlos die vielen, vielen Anwärter, die aus dem ganzen Land ins Hospital Bloom kommen. „Diagnostik gibt es, sie ist einfacher als die Therapie, die extrem aufwendig ist“, sagt Schlensak. Der Kollege schickt eine Liste mit potenziellen Kandidaten. Schlensak sucht dann „genau aus, welche Kinder eine Perspektive haben“, denn für viele „ist es zu spät“.
Christian Schlensak muss oft schlecht Nachrichten überbringen
Vor Ort macht er sich ein genaues Bild vom Gesundheitszustand jener, die noch auf der Liste verblieben sind, aber keineswegs alle operiert werden. Stattdessen muss Schlensak immer wieder Müttern „das Herz brechen“ und ihnen die schlechte Nachricht überbringen, dass er nicht helfen kann. Je älter die Kinder, desto geringer ihre Chancen. Trotzdem würden die meisten Eltern die schlechte Nachricht „gottgegeben hinnehmen“, erzählt er, „es ist ein sehr traditionelles, katholisches Land“. Letztlich sei es für die Eltern auch hilfreich, nach Jahren der Ungewissheit endlich eine „definitive Antwort“ zu erhalten, wie es um ihr Kind steht.
Wie wird er aber selbst fertig damit, über Leben und Tod entscheiden zu müssen? „Das ist bitter“, sagt Christian Schlensak, „aber ich sehe das ganz rational.“ Mit 800 Kindern pro Jahr sei der Bedarf riesig. „Wenn ich 15 Kinder operieren kann, nehme ich die, die am meisten profitieren – und nicht die, die am kränkesten sind.“ Er müsse schauen, wie er mit ihrer „wertvollen geringen Hilfe“ maximal helfen könne.
Hinter dieser geringen Hilfe steckt weit mehr wertvolle Unterstützung als die des Tübinger OP-Teams. Als das Ehepaar Schlensak vor Jahren nach Freiburg zog, gründete es dort seinen ersten Förderverein. 2015 erhielt Schlensak einen Ruf als Professor und zog mit der Familie nach Tübingen, wo sie den Förderverein Hand aufs Herz ins Leben riefen. Aber auch der Franziskanerorden, weitere Stiftungen, Firmen und Privatleute helfen, die Kosten aufzubringen.
Sie sind enorm – aber doppelt gut investiert. Wenn die Behandlung in El Salvador nicht möglich ist, weil die technische Ausstattung fehlt oder die Nachversorgung nicht gewährleistet werden kann, versucht man, das Kind nach Deutschland zu holen. 30 000 bis 40 000 Euro kostet eine solche Operation – eine Summe, für die man in El Salvador 10 bis 15 Kinder operieren kann. Meistens werden gleich zwei kleine Patienten nach Tübingen geholt, damit die Mütter sich gegenseitig unterstützen können. Bevor sie nach zwei, drei Wochen wieder abreisen, gibt es ein Abendessen mit der Familie Schlensak. Man wächst zusammen.
Die Tübinger Helfer bekommen viel zurück
Es könnte für die jungen Mediziner aber auch eine sehr schöne Erfahrung sein, im Bloom Patienten zu behandeln, die ihre Hilfe nicht für selbstverständlich nehmen. Denn dass die Tübinger Truppe mit „viel Herzblut“ dabei ist, liegt nicht nur daran, dass sie Gutes tut. „Man bekommt auch sehr viel zurück“, da sind sich die Eheleute einig.
„Es gibt eine extreme Wertschätzung unserer Tätigkeit“, meint Christian Schlensak, „die bekommen wir hier so nicht.“ Wenn man aber nach einer überstandenen Operation sehe, wie die Eltern weinen und sich glücklich in den Armen liegen – „das ist eine Genugtuung für uns alle“.
Informationen zum Förderverein unter: hand-aufs-herz-ev.de